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01. Juli 2025

Nim Chimpsky und Aplysia californica – von Affen, Schnecken und All-Time Heroes

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Lesezeit: ca. 4 Minuten
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Lange bevor ich in meiner Hausarbeit 1983 den Linguistik-Ansatz des US-amerikanischen Sprachwissenschaftlers Noam Chomsky mehr schlecht als recht diskutiert habe, kannte ich Chomsky als politischen Aktivisten in den 1970er Jahren. Geprägt durch den Spanischen Bürgerkrieg, den Nationalsozialismus in Deutschland und den Atombombenabwurf auf Hiroshima engagierte er sich gegen den Vietnamkrieg.


Noam Chomsky (*07.12.1928 in Philadelphia, Pennsylvania, USA) ist der vermutlich bekannteste Linguist des 20. Jahrhunderts, politischer Publizist und Aktivist. Dem Arts and Humanities Citation Index zufolge war er von 1980 bis 1992 die am häufigsten zitierte lebende Person der Welt. Er wurde international 36 Mal mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet.

Chomsky hat mit seiner Idee von einer Universalgrammatik zahlreiche Forscher*innen unterschiedlichster Provenienz inspiriert, darunter den Informatiker Günther Holz, der 1986 die Programmiersprache Comskee (Computing and String Keeping Language) in Anlehnung an Chomsky benannt hat. Fast zeitgleich – aber letztendlich vergeblich – untersuchte der Kognitionspsychologe H.S. Terrace an der Columbia University New York, ob Schimpansen in der Lage sind, die Gebärdensprache zu erlernen. Sein Versuchstier war ein Schimpanse, dem er in Würdigung an Chomsky den Namen Nim Chimpsky gab und der später einen Wikipedia-Eintrag erhielt, der bis heute abrufbar ist. Anfang 2023 bezeichnete Chomsky mit Kollegen die Künstliche Intelligenz (KI) als High-Tech-Plagiate, also Plagiatssoftware. Wo er Recht hat, hat er Recht!

Infolge eines Schlaganfalls erlitt er eine Aphasie. Des Sprechens und Schreibens beraubt lebt er nun in Brasilien. Staatspräsident Lula da Silva besuchte ihn in seinem Zuhause. Jetzt sind sie quitt: Hat doch Chomsky den seinerzeit von politischen Gegnern inhaftierten Lula 2018 im Gefängnis besucht.

Elf Monate jünger als Chomsky ist der Neurowissenschaftler Eric Kandel. Beide waren prägend für die wissenschaftliche Weiterentwicklung ihrer Fachgebiete und zählen zu meinen All-Time-Heroes! 1938, als Neunjähriger, hat Erich R. Kandel am eigenen Leib erfahren, wie aus Nachbar*innen in Wien Denunziant*innen wurden. Er musste mit seiner Familie in die USA emigrieren. „Ich hatte Furcht davor, die Straße zu überqueren, aber ich ging mit meinem 14-jährigen Bruder über den Atlantik!“ Kandel wurde US-amerikanischer Staatsbürger und änderte seinen Vornamen in Eric.

Eric Kandel (*07.11.1929 in Wien)ist ein US-amerikanischer Psychiater, Physiologe, Neurowissenschaftler, Verhaltensbiologe und Biochemiker. Für die Entdeckung der Signalübertragung im Nervensystem erhielt Kandel gemeinsam mit Arvid Carlsson und Paul Greengard 2000 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie.

Ursprünglich wollte Kandel Psychoanalytiker werden, wandte sich dann aber der Grundlagenforschung zu und arbeitete mit der Meeresschnecke Aplysia californica. Von Ganglienzellen wirbelloser Tiere etwas über die menschliche Erinnerungsfähigkeit, Motivation und das Lernen herausfinden zu wollen, auf die Idee muss man erst mal kommen! Stellvertretend für alle Versuchstiere: R.I.P. Nim Chimpsky und Aplysia californica!

Es gelang Kandel, das Aplysia-System in einer Studie über klassische Konditionierung anzuwenden. Einige synaptische Veränderungen, die Kandels Gruppe entdeckte, sind Beispiele für Lernvorgänge nach der Hebb‘schen Lernregel („what fires together, wires together“) bei der Erklärung neuronaler Netzwerke und heute eine der Grundlagen der KI.

Seine Studien halfen mir zu verstehen, dass das Gehirn Aktivitäten speichert. Es bringt also nichts, Muskeln isoliert zu trainieren. Vielmehr gilt: Therapie ist dann erfolgversprechend, wenn Aktivitäten in einem bedeutungsvollen Kontext für den Lernenden erarbeitet, wiederholt und variiert werden.

Diese Erkenntnis erscheint uns heute trivial, war aber zum damaligen Zeitpunkt eine Art Paradigmenwechsel, der sich nachhaltig auch auf Therapieansätze in der Logopädie ausgewirkt hat. Wie Chomsky ist auch Kandel immer gesellschaftspolitisch engagiert gewesen, erkennbar auch in seiner quasi zweiten Habilitation „Das Zeitalter der Erkenntnis. Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute“, in der er sich mit seiner österreichischen Heimat auseinandersetzt.

Der österreichische Staat brauchte allerdings einige Jahrzehnte, um sein Wirken anzuerkennen. 2024 wurde Eric Kandel das große Goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich verliehen und er war beim Baustart des Zentrums für Präzisionsmedizin an der Uni Wien anwesend, das seinen Namen tragen wird. Auch auf seine Initiative hin wurde 2012 der Wiener Ringstraßen-Abschnitt Dr.-Karl-Lueger-Ring (Lueger: Antisemit, Hitlers Vorbild) in Universitätsring umbenannt. Kandel trägt „Mascherl“ (Fliege) und ist seit 69 Jahren (!) verheiratet mit Denise, Professorin für Sozialmedizin und Epidemiologie, die die Nazizeit in Frankreich in Verstecken überlebt hat. Rückblickend und unnachahmlich humorvoll sagt er: „Ich bin Universitätsprofessor, ich habe ein fabelhaftes Büro mit Blick auf den Hudson. Und das alles für einen kleinen jüdischen Jungen aus Wien. Mann, was will ich mehr?“ Sein Kollege Wolf Singer charakterisiert ihn so: „Er ist ein Mensch, den man in der Menge dann sofort erkennt, wenn es etwas zu lachen gibt.“

Vor einigen Jahren hatte ich Gelegenheit, Eric Kandel bei einer Lesung in Berlin zu erleben. Der Saal des Langenbeck-Virchow-Hauses, in dem auch der jährliche Therapiegipfel der SHV Heilmittelverbände tagt, war überfüllt. Er schrieb mir eine Widmung in sein Buch, die mich immer wieder tief berührt: „From one Viennese to another!“

Ricki Nusser-Müller-Busch