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forum:logopädie Jg. 39 (3) Mai 2025

Die BSV berät

Im Schneckentempo schneller zum Therapieziel
Lesezeit: ca. 4 Minuten
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Anne Bahlmann ist seit 25 Jahren Logopädin und seit 20 Jahren Inhaberin einer logopädischen Praxis in Hachenburg (Rheinland-Pfalz). Sie war schon immer eine große Tierfreundin und teilt diese Begeisterung gerne mit ihren Patient*innen. Wie mittlerweile einige andere Logopäd*innen, setzt sie ihren Hund in der Therapie ein. Ihr Markenzeichen aber sind drei Achatschnecken, die ihr als treue Therapieassistenten zur Seite stehen. Ihre erste Therapieschnecke heißt Gary und ist mittlerweile sechs Jahre alt. Über diese außergewöhnliche tiergestützte Therapie wollten wir als BSV mehr erfahren und forschten nach.

Anne Bahlmann arbeitet gerne Hand in Hand mit ihrem tierischen Assistenten privat

Was sind Achatschnecken und was muss man in der Haltung beachten?

Achatschnecken sind auch als Ostafrikanische Riesenschnecken bekannt, denn mit durchschnittlich zwölf (und bis zu 20) Zentimeter Gehäuselänge gehören sie zu den größten Landschnecken der Welt. Sie sind Allesfresser, ernähren sich aber überwiegend pflanzlich. Um das Wachstum des Gehäuses zu unterstützen, brauchen sie eine Kalkquelle. Diese muss über den Boden oder die Ernährung zugeführt werden.

Achatschnecken sind gesellige Tiere und sollten mindestens zu dritt gehalten werden. Da sie Hermaphroditen sind, kommt es so jedoch immer wieder zu Nachwuchs. Alle drei bis vier Wochen sollte man Schneckeneier aus dem Terrarium entfernen, um nicht plötzlich 200 Schnecken oder mehr zu haben. Zur Populationskontrolle empfehlen Expert*innen das Einfrieren der Eier. Da sie in diesem frühen Entwicklungsstadium hauptsächlich aus einer Flüssigkeit bestehen, ist es die bestmögliche und gängige Methode des Abtötens. Es ist ein wichtiger Prozess, um verantwortungsbewusst gewünschte Nachkommen zu halten und eine Überpopulation zu vermeiden. Doch gelegentlich übersieht man ein Ei, aus dem dann eine neue Schnecke schlüpft. Diese sollte entweder in die eigene Gruppe eingegliedert oder in fürsorgliche Hände abgegeben werden.

Die Schnecken sind sehr pflegeleicht und können auch gut ein paar Tage unter sich bleiben. Bei Anne Bahlmann wohnen die Schnecken in der Praxis, unterstützen sie unter der Woche bei Therapien und genießen am Wochenende die Ruhe. Wenn sie am Wochenende alleine sind, kommen sie mit dem Futter- und Wasservorrat vom Freitagnachmittag gut bis Montag früh aus. Um sich gut auf die Schneckenhaltung vorzubereiten, empfiehlt Anne Bahlmann die Weiterbildung zum/zur Schneckentrainer*in bei Tanja Piringer (Österreich) sowie ausreichende Recherche.

Welche positiven Effekte haben Schnecken auf Menschen?

Schnecken wirken durch ihre langsamen Bewegungen entschleunigend und senken den Stresspegel. Dies bemerkt Anne Bahlmann sowohl bei sich selbst als auch bei ihren Patient*innen. Insbesondere bewegungsfreudige Kinder oder Menschen mit der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) profitieren von der ruhigen Ausstrahlung der Schnecken. Besonders berührt Anne Bahlmann, dass sie bereits erleben durfte, wie ihre Schnecken bei Kindern mit Mutismus oder nicht sprechenden Kindern im Autismusspektrum erste Kommunikationsanlässe geschaffen haben. Hierbei stellt die Schnecke, welche selbst keine Geräusche macht, als „Türöffner“ ein Medium dar, um mit dem Kind in Kontakt zu kommen.

Aber auch alle anderen großen und kleinen Patient*innen können von den Schnecken profitieren.

Was sind Vor- und Nachteile von Schnecken gegenüber anderen Therapietieren?

Die Schnecken sind pflegeleicht und kosten verglichen mit anderen Therapietieren – in Anschaffung und Haltung – sehr wenig. Außerdem können sie auch bei Menschen mit Tierhaarallergien eingesetzt werden. Auch können und müssen Schnecken keine Ausbildung durchlaufen oder Prüfungen ablegen, bevor sie in der Therapie eingesetzt werden dürfen. Ein weiterer Vorteil ist ihr neutraler Geruch sowie die Tatsache, dass Schnecken leise Tiere sind.

Ein Nachteil ist, dass die Schnecken weniger aktiv an der Therapie teilnehmen können als beispielsweise Hunde oder Pferde. Hygieneregeln müssen jedoch trotzdem eingehalten werden. Dabei ist das regelmäßige Händewaschen ein Muss.

Die Fütterung der Schnecken ist ein toller Anlass für Gespräche in der logopädischen Therapie privat

Wie kann man Schnecken konkret in der Logopädie einsetzen?

Insbesondere in der Therapie mit Kindern sind die Schnecken ein Highlight. Viele Kinder beobachten die Schnecken sehr gerne. Dies ermöglicht eine gute Integration der Tiere in verschiedene Therapieziele. Als Beispiel nennt Anne Bahlmann Übungen zu Präpositionen. Diese lassen sich gut in die Beobachtung einbinden, indem die Kinder beschreiben, wo die Schnecken sind. Auch spezifische Satzstrukturen oder Frage-Antwort-Muster lassen sich mit der Schneckenbeobachtung verbinden. In der Wortschatztherapie kann man zum Beispiellernen, wie die Körperteile der Schnecke heißen oder darüber sprechen, was Schnecken (nicht) fressen. Bei bestimmten Aussprachestörungen bietet es sich insbesondere an, über Schnecken zu sprechen, wenn die Laute /sch/ oder /f/ (Futter/füttern) geübt werden. Viele Kinder arbeiten motivierter mit, wenn die Schnecken einfach nur dabei sind und zuschauen. Auch in der Therapie der Lese-Rechtschreibstörungkommen die kleinen Assistenten gut an. So bietet es sich z.B. an, Texte über Schnecken zu lesen oder zu schreiben.

Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt und viele Ideen für die Therapie ergeben sich, sobald man beginnt, die Schnecken einzusetzen.

Bei Fragen dürft Ihr Euch an Anne Bahlmann wenden (bahlmannanne@gmail.com), in ihrem Instagram-Profil schnuppern (logopaedie_bahlmann_kraemer) oder in Annes Buchtipp nachlesen: „Können Tiere einen Beitrag in der Psychotherapie mit Kindern leisten? Achatschnecken und andere tierische Therapeuten im Einsatz“ von Anna Gnant (2014).

Auch bietet Anne eine Fortbildung zum Thema „Achatschnecken in der Logopädie“ an, mit der sie bereits bei Anka Schäfer viele Therapeut*innen begeistern durfte.

Nina Hildebrandt und Marietheres Pscheidt für die BSV

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