Theorie & Praxis
forum:logopädie Jg. 38 (3) Mai 2024

Interdisziplinäres Dysphagiemanagement in Pflegeeinrichtungen – aber wie?

Konzeption und Evaluation einer Handlungsempfehlung der Logopädie für die Pflege
Sophie Jungels, Ronja Malburg und Stefanie Jung
Lesezeit: ca. 3 Minuten

Hintergrund

Mehr als 50% der Bewohner*innen stationärer Pflegeeinrichtungen weisen eine oropharyngeale Dysphagie auf (Baijens et al. 2016). Diese kann mit gesundheitskritischen Auswirkungen wie Dehydrierung, Malnutrition und insbesondere der Aspiration als bedrohlichste Folge einhergehen (Reber et al. 2019, Bartolome 2018). Eine Kooperation von Logopädie und Pflege zur Etablierung eines interprofessionellen Dysphagiemanagements kann Aspirationen bei Bewohner*innen in Pflegeeinrichtungen dauerhaft vorbeugen.

Während Logopäd*innen dabei vordergründig für die Diagnostik und die schlucktherapeutische Versorgung verantwortlich sind, fällt die Begleitung beim Essen und Trinken und somit auch die Sicherstellung der alltäglichen Aspirationsprophylaxe in den Verantwortungsbereich der Pflegenden. Damit die Zusammenarbeit beider Professionen gelingt, ist eine effektive Kommunikation erforderlich. Bislang fehlt jedoch ein klares Konzept, mit dem Logopäd*innen schlucktherapeutische Empfehlungen über Koststufen, Schluckstrategien oder Hinweise zur Aspirationsprophylaxe an die Pflege übermitteln können.

Die Studie

Ziel der Studie war die Konzeption und Evaluation einer evidenzbasierten, individualisierbaren Handlungsempfehlung für die orale Nahrungsaufnahme bei neurogener, oropharyngealer Dysphagie zur Aspirationsprophylaxe in stationären Pflegeeinrichtungen. Basis der Konzeption bildete ein Literaturreview. Es wurden insgesamt 18 internationale Studien einbezogen, in denen adaptive und kompensatorische Maßnahmen zur Reduktion des Risikos für Aspiration bei Dysphagie beschrieben sind.

Die Ergebnisse der Studien wurden in einer Handlungsempfehlung zusammengeführt und deren theoretische Umsetzbarkeit mittels einer Online-Befragung von N=52 Expert*innen stationärer Pflegeeinrichtungen in Deutschland evaluiert. Außerdem wurde erhoben, ob der eingeschätzte Nutzen in Abhängigkeit von der individuellen Berufserfahrung (< 5 Jahre: n=11, 5 – 15 Jahre: n=24, > 15 Jahre: n=16) variiert.

Ergebnisse

Es konnte eine evidenzbasierte, individualisierbare Handlungsempfehlung für die orale Nahrungsaufnahme bei oropharyngealer Dysphagie konzipiert werden. Die Empfehlung umfasst die Angabe zur Kostanpassung, individuell anpassbare Schluckstrategien während der Mahlzeit sowie vor- und nachbereitende Maßnahmen. Auf der Vorderseite werden neben allgemeingültigen Hinweisen zur Aspirationsprophylaxe die direkten Aspirationssymptome aufgeführt (siehe Link).

Nach den Ergebnissen der Evaluation mittels Online-Befragung kann angenommen werden, dass sich Pflegekräfte durch den Zugriff auf diese Informationen bei der Ess- und Trinkbegleitung von Bewohner*innen mit Dysphagie sicherer fühlen. 87% der Befragten waren sich des Risikos einer Aspirationspneumonie bewusst. Alle Inhalte der entwickelten Empfehlung waren nur 56% der Befragten bekannt. Die Betrachtung der Berufserfahrung ergab keinen signifikanten Zusammenhang.

Trotz der großen Herausforderungen im Pflegealltag wie Personal- und Zeitmangel können sich 90% der Proband*innen vorstellen, die Handlungsempfehlung zu nutzen. Damit kann sie ein wertvolles Medium für die Etablierung eines effektiven interprofessionellen Kompetenzaustauschs zwischen Logopädie und Pflege darstellen. Sie kann das Dysphagiemanagement in Pflegeeinrichtungen strukturiert, kompakt und alltagsnah voranbringen.

Die „Handlungsempfehlung für die orale Nahrungsaufnahme bei Dysphagie in Pflegeeinrichtungen“ ist per Download frei verfügbar:
https://seafile.rlp.net/f/421e32be79b74a28b672/?dl=1

Literatur

Bartolome, G. (2018). Physiologie des Schluckvorgangs. In: Bartolome, G. & Schröter-Morasch, H. (Hrsg.), Schluckstörungen. Interdisziplinäre Diagnostik und Rehabilitation (24-46). München: Elsevier

Baijens, L.WJ., Clavé, P., Cras, P., Ekberg, O., Forster, A., Kolb, G. … & Walshe, M. (2016). European Society for Swallowing Disorders – European Union Geriatric Medicine Society white paper: Oropharyngeal dysphagia as a geriatric syndrome. Clinical Interventions in Aging 11, 1403-1428

Reber, E., Gomes, F., Dähn, I.A., Vasiloglou, M.F. & Stanga, Z. (2019). Management of dehydration in patients suffering swallowing difficulties. Journal of Clinical Medicine 8 (11), 1923

Kontakt

Ronja Malburg (ronja.malburg@web.de)

Sophie Jungels (sophie.jungels@gmx.de)

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