Luise Springer – Die Systemsprengerin
Mit dem Namen Luise Springer (1947-2011) wird so einiges assoziiert. Für die Älteren unter uns ist Luise – so nenne ich sie in alter Verbundenheit – nicht nur eine Art „Urgestein“ der Logopädie, prägend für deren wissenschaftliche Weiterentwicklung, die der Verband mittels Ehrenmitgliedschaft und Benennung des dbl-Forschungspreises entsprechend gewürdigt hat. Sie ist vor allem auch ein Vorbild in Sachen Emanzipation.
Therapeutin mit Leib und Seele
Luise hat sich über so manche „natürliche“ Grenze hinweggesetzt, auch weil sie getrieben davon war, immer weiterzukommen in ihrem Wissen und Handeln als Therapeutin. Ja, auch für die älteren Leser*innen sei an dieser Stelle gesagt: Entgegen mancher Einschätzungen war Luise vor allem Therapeutin mit Leib und Seele und nicht bloß eine linguistisch durchtränkte Theoretikerin.
Stellen Sie sich mal folgende Besprechungssituation in einem Krankenhaus in den 1970er Jahren vor:
Sie nehmen als einzige Frau (ohne studiert zu haben) an einer Sitzung teil. Sie sitzen Männern gegenüber, die promoviert haben oder habilitiert sind, und diskutieren mit ihnen über die bestmögliche Therapie aphasischer Patient*innen. Sie tun das, weil Sie die Patient*innen als Therapeutin kennen, Ihnen sind deren Probleme vertraut. Sie wissen, was Sie alles nicht wissen und vor allem: Sie entwickeln gleichzeitig eine Menge Ideen, suchen nach Möglichkeiten, wie es besser laufen könnte, beteiligen sich ganz selbstverständlich an Besprechungen. Ihre Art der Beteiligung ist nachdrücklich, engagiert und von Interesse geleitet. Man hört Ihnen tatsächlich zu: eine echte Revolution!
Ich möchte nicht wissen, wie viel Kraft und Durchsetzungsvermögen es Luise gekostet hat, sich Gehör zu verschaffen und ein gleichberechtigter Teil des Teams im Krankenhaus zu werden. Damals war es weder üblich noch alltäglich, dass einer „kleinen Logopädin“ überhaupt Gehör geschenkt wurde, da hatten die „Macker“ das Sagen und bestimmten den Lauf der Dinge, was allerdings im Gesundheitswesen, dominiert von Ärzten, ein quasi „natürlicher“ Zustand war.
Luise hat schon in den 1970er und 1980er Jahren als leitende Lehrlogopädin ihre wissenschaftlichen Interessen in der interdisziplinären Arbeitsgruppe um Prof. Klaus Poeck eingebracht und entsprechend publiziert. Heute würde man sagen: Das war interprofessionelle Zusammenarbeit at its best. Zu diesem Zeitpunkt behandelten Logopäd*innen noch keine neurologischen Patient*innen. Erst Luise hat diesen Leistungsbereich, heute selbstverständlicher Bestandteil der Heilmittel-Richtlinie, für die eigene Berufsgruppe erschlossen.
Die Pionierin
Unvergessen ist mir ein Treffen mit den Herren Professoren an der Universität zu Köln am Anfang der 1990er Jahre. Luise, Uschi Breuer, die damalige Präsidentin des Zentralverbandes für Logopädie (ZVL, heute dbl), und ich waren eingeladen. In gemütlicher Runde an einer Couchtischgarnitur im Stil der 1970er Jahre wurde bei einem Tässchen Kaffee und Plätzchen erst einmal entspannt geplaudert. Wir drei schauten uns zwischendurch immer wieder mal fragend an, da wir nicht wussten, worum es hier eigentlich gehen sollte. Und dann klärte uns einer der Herren Professoren darüber auf, was es mit dem AAT auf sich hätte, also das sei die Abkürzung für Aachener Aphasie Test. Vielleicht hätten wir unter Umständen auch schon mal davon gehört, der sei sehr wichtig für die Diagnostik von Aphasien. Der Mensch war kaum zu bremsen in seiner Freude über diese frohe Botschaft!
Zu diesem Zeitpunkt arbeitete Luise mit der Abteilung Neurolinguistik schon seit mehr als 15 Jahren zusammen, war Teil des Teams und mit dem AAT bestens vertraut. Für Studierende der Lehranstalt für Logopädie war ein neurologisches Praktikum im UK schon damals üblich, die Durchführung des AAT mit Vorstellung der Ergebnisse auf der wöchentlichen Besprechung war für alle verpflichtend.
Auf der Rückfahrt im Taxi sagte Luise: „Der hat wirklich keine Ahnung!“. Aber Wut im Bauch hatte sie trotzdem. Gleichzeitig kam es mir aber auch so vor, dass solche Begebenheiten Luise geradezu beflügelten.
Wie anders ist zu erklären, dass sie unbeirrt ihren Weg gegangen und unseren Beruf konsequent professionalisiert hat: Beteiligung an und Initiierung von Forschungsprojekten im Bereich Aphasie, Veröffentlichungen und Vorträge auf nationaler und internationaler Ebene, Start der ersten Buchreihe für Logopädie (Thieme), Aufbau eines europaweiten Ausbildungsnetzwerks im Rahmen des Erasmus-Programms, Initiatorin des ersten Studiengangs für Lehr- und Forschungslogopädie an der RWTH Aachen (1992!) und des Modellstudiengangs Logopädie. Danke, Luise.
Linda Schrey-Dern