Theorie & Praxis
forum:logopädie Jg. 39 (1) Januar 2025

Tribute to Henry Heimlich

Heidi Macha-Krau, Ricki Nusser-Müller-Busch und Linda Schrey-Dern nehmen Wissenswertes unter die logopädische Lupe.
Lesezeit: ca. 3 Minuten
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Linda Schrey-Dern

Was haben Cher, Ronald Reagan, Elizabeth Taylor, Walter Matthau, Jack Lemmon und George W. Bush gemeinsam? Sie alle wurden durch den Heimlich-Handgriff gerettet. So verschluckte sich der frühere US-Präsident beim Fernsehen an einer Brezel, die den Vagusnerv stimulierte.

Mit dieser Sofortmaßnahme können bei drohendem Ersticken Essensreste oder Fremdkörper – aber auch zähes Sekret bei Asthma-Anfällen – aus dem Kehlkopf oder der Luftröhre gelöst werden. Durch Kompression des Bauchbereichs soll möglichst viel Luft aus den Lungen nach oben befördert werden. Wenn es funktioniert, gibt es den geräuschvollen Effekt eines Sektkorkens, der von der Flasche fliegt. 1991 fotografierte ich in New York die Plakate mit dem lebensrettenden Handgriff, die auf behördliche Anordnung in allen Lokalen aushingen. Köche scheinen zur Hochrisikogruppe zu gehören, wie immer wieder zu lesen ist. Sie gehen nach dem stressigen Restaurantjob spät nachts zu Hause an den Kühlschrank, um sich noch ein Stück Fleisch zu gönnen, das ihnen dann im Halse stecken bleibt.

Um dies zu verhindern, entwickelte und unterrichtete der US-amerikanische Arzt Henry Heimlich diesen Handgriff, ohne ihn während seiner Berufstätigkeit je selbst anzuwenden. Mit dem Heimlich-Manöver – in der US-Medizin hat die Kriegssprache Eingang gefunden – rettete Henry Heimlich indirekt das Leben hunderttausender Menschen. Er selbst nutzte es später bei zwei Notfällen, einmal als 80-Jähriger in einem Restaurant und das zweite Mal im hohen Alter von 96 Jahren: In einer Seniorenresidenz in Cincinnati rettete er im Mai 2016 seine 87-jährige Mitbewohnerin Dorothy, die sich an einem Stück Burger verschluckt hatte.

Seit einiger Zeit ist der Heimlich-Handgriff wegen zu häufiger Komplikationen umstritten. Er soll nicht bei Schwangeren und nicht bei alten Menschen angewendet werden, um keine Rippenbrüche zu riskieren. Jemanden ersticken zu lassen, ist aber auch keine Option! Also habe ich mir die Technik angelesen. In Vor-Internet-Zeiten dachte ich zunächst, der Griff heißt heimlich, weil die helfende Person den um Luft ringenden Menschen von hinten plötzlich mit beiden Armen umfasst. Das Missverständnis klärte sich auf. Eine Kollegin, die Patientin im Herdecker Querschnittzentrum war, zeigte mir, wie sie das Verfahren modifiziert sogar selbstständig anwendete: Von der Brustwirbelsäule abwärts gelähmt und im Rollstuhl sitzend warf sie sich im Bedarfsfall mit dem Oberkörper nach vorne über einen Stuhl, um besser abhusten zu können. Von wegen heimlich…

Das Heimlich-Manöver in der Anwendung dbl

Jahrelang habe ich den Handgriff ausschließlich unterrichtet, bis dann die Stunde des Einsatzes kam. Dieser hatte folgende Vorgeschichte: Der an Alzheimer-Demenz erkrankte Boxweltmeister Bubi Scholz erstickte im Jahr 2000 an einem Stück Toastbrot in einem Brandenburger Pflegeheim. Boulevardblätter schlachteten die Story tagelang aus. Die Mitarbeiter*innen in diesem Pflegeheim waren geschockt und nun in Sorge um einen Bewohner, der sich immer wieder an geschnittenen Apfelstückchen verschluckte. Sie schickten ihn zu uns ins Unfallkrankenhaus Berlin. Ich untersuchte ihn, meldete ihn in der Schlucksprechstunde an und verordnete bis dahin passierte Kost. Als ich ihn das zweite Mal auf der Station aufsuchte, hörte ich schon auf dem Flur, dass er besorgniserregend hustete. Ich drückte die Klingel und stürzte ins Zimmer. Nun war es so weit! Von hinten umfasste ich den Patienten und führte die Oberbauchpresse aus. Fehlanzeige, zweites Mal: wieder nichts. Beim dritten Mal war das Timing von Husten und Handgriff wohl perfekt. Wie ein Sektkorken flog das Apfelstückchen durch den Raum. Der Patient, die hinzugeeilte Pflegende – und auch ich – atmeten tief durch.

Aber wieso hatte er Apfelstückchen angeboten bekommen? Eine Service-Kraft hatte aufmerksam den Übergabebogen aus dem Heim gelesen. In der Spalte Vorlieben war „geschnittener Apfel“ dokumentiert. Sie wollte dem Patienten eine Freude machen, und sie hatte nicht mitbekommen, dass Apfelstückchen der Grund für die Krankenhauseinweisung gewesen waren. Eigentlich ist doch im Stationsalltag kaum Zeit, Patient*innen etwas Gutes zu tun … Aber danke Henry Heimlich!

Ricki Nusser-Müller-Busch

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